Lena Bröcker / Yoshihiro Suda: Die Ordnung der Blüte

6. Mai – 24. Juli 2010

Die Ordnung der Blüte - Ausstellungsansicht

© Yoshihiro Suda, Courtesy Galerie Loock, Berlin

Lena Bröcker - Fünf Zehn - Detail

Lena Bröcker, Fünf Zehn (Detail), © Lena Bröcker

Ausstellung

Mit der Münchner Künstlerin Lena Bröcker (*1972) und dem japanischen Künstler Yoshihiro Suda (*1969) präsentiert die ERES Stiftung in ihrer neuen Ausstellung zwei Positionen, die sich dem künstlerisch wie naturwissenschaftlich facettenreichen Thema Blüte auf unterschiedliche Weise nähern.

Lena Bröcker begreift das Motiv abstrakt, interessiert sich für die schematische Form von Krokus, Frauenmantel oder Mohn und spürt mit Zirkel und Lineal den Ordnungsprinzipien von Blüten nach. So entstehen auf orange-farbigem, grünem oder blauem Millimeterpapier Bleistift-Zeichnungen von außerordentlicher Zartheit, die auf faszinierende Weise geometrische Strenge mit frischer poetischer Ausdruckskraft vereinen. Die formale Verwandtschaft mit geometrischen Konstruktionszeichnungen, die sich auf Linien, Radien, Kreise, Winkel und Spiralen stützen, liefert das minimalistische Gerüst, auf dem sich künstlerische Freiheiten umso wirkungsvoller entfalten können.

Titel wie Strange, Viersechs oder Fünf Zehn untersteichen, dass es sich hier um Blütenforschung künstlerischer Art handelt und ähnlichkeiten mit botanischen Abbildungen rein zufällig sind, auch wenn am Ausgangspunkt jeder Arbeit die Erkundung der Pflanze in der Natur steht. Ihrer Farbe beraubt und ins Korsett der Linien und Kurven gezwängt, entfalten die eigentlich so vertrauten Blüten in Lena Bröckers Arbeiten fremde Nähe und großen ornamentalen Reiz. Sie treten in ungewohnter Schönheit in Erscheinung und sind stille Zeugen äußerer Eingriffe, die sich ihrer bemächtigen, sie isolieren und kategorisieren – aus welchen Forschungszwecken auch immer.

Mit ihren 115 x 135 x 10 cm großen Papierreliefs, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt werden, setzt Lena Bröcker den Weg in die Abstraktion konsequent fort. Dabei überträgt sie die Blütenzeichnungen in dreidimensionale Pyramiden mit unterschiedlicher Grundfläche. So wird eine fünfzählige Blüte im Relief zu einer Komposition aus fünf fünfeckigen Pyramiden. Das Vorbild aus der Natur ist nur noch schwer erkennbar. Die Reliefs sind ebenfalls aus Millimeterpapier gearbeitet, wodurch konkave und konvexe Elemente besonders plastisch hervortreten.

Speziell für die Ausstellung in der ERES Stiftung hat Lena Bröcker eine Wandarbeit entwickelt, die exemplarisch an 18 Blüten den Blütenzyklus im Jahresverlauf zeigen soll. Diesen subjektiv wahrgenommenen Rhythmus wird sie in Form einer logarithmischen Spirale anordnen, einem seit Jahrhunderten viel diskutierten mathematischen Prinzip, das überall in der Natur vorkommt und als besonders harmonisch empfunden wird.

Die mit größter handwerklicher Präzision ausgeführten Blütenskulpturen des in Tokio lebenden Künstlers Yoshihiro Suda treten auf den ersten Blick gar nicht in Erscheinung. In ihrer Detailgenauigkeit und maßstabsgetreuen Umsetzung sehen sie natürlich gewachsenen Pflanzen so täuschend ähnlich, dass man sie leicht übersehen könnte. Ganz beiläufig werden sie im Raum platziert, ja regelrecht versteckt. Aus Mauerritzen, Elektrokästen, Wandrissen oder Parkettfugen grünt und sprießt es in aller Bescheidenheit. Eine einzige Kamelie wächst aus der Wand, ein paar unscheinbare Unkrautblättchen bringen Farbe in den ansonsten leeren Raum.

Seit den 1990er Jahren schnitzt Suda in hyperrealistischer Manier aus Magnolienholz indigene japanische Pflanzen wie Magnolien, Kamelien oder Azaleen, aber auch Tulpen oder Rosen. In aufwändigen, tagelangen Arbeitsprozessen und mit Werkzeugen, die der Künstler eigens anfertigen lässt, entsteht ein lebensechter filigraner Korpus, der anschließend mit Naturpigmenten bemalt wird.

In ihrer extremen Gegenständlichkeit fordern diese Natur-Repliken den Betrachter geradezu heraus, dem wahren Wesen der Blüte, des Blattes nachzuspüren, was durch die alltägliche Präsenz von Rosen, Tulpen und Kamelien in überdekorierten Blumenläden kaum noch möglich ist. Als raffinierte Kopien werfen sie darüber hinaus subversiv die Frage nach Original und Originalität, Künstlichkeit und Natürlichkeit auf, die sich in Anbetracht immer stärker von Menschenhand geprägter Pflanzenzüchtungen heute mehr denn je stellt. Dass sich Suda neben den symbolträchtigen Klassikern auch den Weeds, dem Unkraut als floraler Stadtguerilla mit wiederkehrender Hingabe widmet, unterstreicht seine Sensibilität für vom Menschen unberührte Natur. In ihrer zerbrechlichen Grazie und technischen Virtuosität sind Sudas zarte Geschöpfe den Blicken ungeschützt ausgesetzt, steigern so die Begehrlichkeit, sich ihnen mit wachem Sinn zu nähern. Ihre berührbare und gleichzeitig unberührbare Eleganz sowie die sich in ihnen ausdrückende Vorstellung einer ephemeren Schönheit, die nur im Augenblick erlebt werden kann, steht in der langen Tradition eines der fundamentalen Konzepte der japanischen ästhetik – Furyu. Das aus den Begriffen Wind und Fließen zusammen gesetzte Wort beschreibt eine spezielle, flüchtige Form ästhetischer Verfeinerung. Wie stark Sudas Blumenskulpturen in der japanischen Kunsttradition verankert sind, zeigt sich nicht zuletzt an Details wie feinen Wurmlöchern in den Blättern. Das Gefühl von Wehmut angesichts der unvermeidlichen Vergänglichkeit des Lebens ist in der tradierten japanischen Kunst stets präsent und aus westlicher Sicht nur vage nachvollziehbar, da es sich klaren Definitionen entzieht.

Zwar ist es Yoshihiro Sudas erklärtes Ziel, mit jeder Arbeit der Natur noch ein Stück näher zu kommen, doch sein Hauptaugenmerk liegt auf der Erforschung der Umgebung, in die er seine Blüten und Blätter platziert. Dabei bevorzugt er leere, große Räume, in denen seine verhältnismäßig kleinen Skulpturen dann enorme Kraft entfalten. Nähert sich der Betrachter, entsteht ein überraschender Spannungsbogen zwischen ihm, der Skulptur und dem umgebenden Raum. Denn durch den installativen Eingriff verändert sich auch die Wahrnehmung der Architektur, von Innen und Außen. Der Raum, der fast nichts enthält, eröffnet die Möglichkeit, ihn mit etwas zu füllen, fördert und bereichert die Vorstellungskraft. Das wirkt beruhigend und anregend zugleich. Diese Art der Installation zeigt einmal mehr Yoshihiro Sudas tiefe Verankerung in der japanischen Kultur. Auch das traditionelle japanische Teehaus ist fast leer, enthält außer Blumengesteck und Rollbild kaum ablenkende Details.

In der Ausstellung treffen somit zwei Künstler aufeinander, die von sehr unterschiedlichen Kulturkreisen geprägt sind. Während Yoshihiro Suda ganz vom Gegenständlichen ausgeht, um den kunstvollen Manifestationen der Natur nachzuspüren und die meditative Kraft des leeren Raumes mit einbezieht, basiert Lena Bröckers Ansatz auf Abstraktion. Ihre Beschränkung auf geometrische Formen und der bewusste Verzicht auf eine individuelle Handschrift zeigen gewisse Anklänge an die Minimal Art, die von der Auseinandersetzung mit der ästhetik des Ostens nicht unerheblich beeinflusst wurde. Beide Positionen lassen sich somit als Ausdruck erfüllter Leere begreifen, die ein vertieftes, unverbrauchtes Naturbild ermöglichen und den Blick schärfen für das, was die Blüte im Innersten zusammenhält.

Lena Bröcker wurde 2009 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst ausgezeichnet. Sie war Meisterschülerin von Prof. Nikolaus Gerhart an der Akademie der Bildenden Künste in München, lebt und arbeitet in München. Sie war an Ausstellungen in München, Wien und Belgien beteiligt.

Yoshihiro Suda lebt und arbeitet in Tokio. Seine Blüten-Installationen waren in den letzten Jahren im Kunstmuseum Wolfsburg, Städel Museum Frankfurt, Lenbachhaus München, Fondation Beyerle, Basel, Louisiana Museum, Kopenhagen zu sehen. Permanente Installationen befinden sich im Neuen Museum Nürnberg und im Art House Project Gokaisho in Naoshima, Japan.

Vorträge

Katalog

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog, EUR 2,00
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